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Anne Haigis

Kritik zum Konzert am 5. November im Leeren Beutel in Regensburg

Zurück zu sich selbst: Haigis, einst das, was man Deutschrock-Star nannte, ist zu ihren Wurzeln zurückgekehrt und spielt im Leeren Beutel, was ihr Spaß macht

Schaut man sich den Karriereverlauf der Anne Haigis an, dann muss man eigentlich mutmaßen, dass irgendwann irgendwas schief lief. Weil sie den Status, den sie innehatte, verloren hat. Ihr Name wurde einst in einem Atemzug genannt, mit Peter Maffay, Klaus Lage oder BAP. Und ihr Deutschrock-Debüt von 1984, das hatte niemand anderes als Edo Zanki produziert. Das war jener Magier, der Tina Turner mit „Fruits of the Night“ aus dem Karriereloch helfen wollte und der dann hierzulande für ein paar Jahre das war, was Nile Rodgers auf internationaler Ebene war: nämlich der Produzent der Stunde. Mit traumhaft sicherer Hand gelang es dem mittlerweile verstorbenen badischen Kroaten, Herbert Grönemeyer, Ulla Meinecke oder eben auch Anne Haigis fantastisch passende synthetische Soulkleider auf den Leib zu schneidern. Und die waren nicht nur ziemlich radiotauglich. Sie genügten auch höchsten Hörer-Ansprüchen.

Inneren Frieden gefunden

Nur eine weigerte sich, zufrieden zu sein: Und das war Anne Haigis selbst. Weshalb sie nach drei deutschsprachigen Alben den Bettel kurzerhand hinwarf. Und ihren Vertrag bei der EMI kündigte. Stattdessen ging sie in die USA, um sich dort mit Haut und Haar dem geliebten englischen Idiom zu verschreiben. Und arbeitete in L.A. und in Nashville mit Leuten wie Melissa Etheridge oder Nils Lofgren. Das alles erzählt sie hier auf der Bühne im Leeren Beutel in einer Mischung aus spontaner Unaufgeregtheit und geplanter Improvisation. Und sehr schnell wird klar: Da hat eine Frau, die von sich sagt, dass sie Tarotkarten legte und ein halbes Leben lang auf der Suche nach sich selbst war, offenbar das Wertvollste überhaupt gefunden. Nämlich ihren inneren Frieden. Und macht heute das, was sie, die gebürtige Rottweilerin, schon ganz am Anfang gemacht hat, als Straßenmusikerin, noch bevor sie den Jazz-Pianisten Wolfgang Dauner kennen- und lieben gelernt hatte: Ganz allein an der akustischen Gitarre führt sie ihre unglaubliche und bis heute fantastische Janis Joplin-Stimme vor. In vier Wochen hat Anne Haigis Geburtstag – und da kann sie dann ein Jahr lang im Brustton der Überzeugung von sich behaupten, eine echte Achtundsechzigerin zu sein. Nur ansehen – ja, ja, dieser Gedanke hat den Gönnerhaftigkeitscheck durchlaufen! – nein, ansehen kann man ihr das nicht, die sich hier, auf der Bühne, ganz schwarz gekleidet pudelwohl fühlt. Ein letztes Relikt aus friedensbewegten Zeiten klebt weithin sichtbar auf ihrer Gitarre – und zwar jene weiße Taube von Picasso, die in Zeiten von Pershing- und SS 20-Raketen als klares Statement für Abrüstung galt. In Zeiten wie diesen, da uns gerade die Welt um die Ohren zu fliegen scheint, mahnt sie stumm und nachhaltig.

Wer fragt nach mir?

Die Herzen ihres handverlesenen Publikums erobert Anne Haigis an diesem Sonntagabend zwar nicht im Sturm, aber dafür umso nachhaltiger. Weil – wie es in einem alten Song von ihr heißt – das Wesentliche sich nur bewahren lässt, indem man es nach einer Zeit des Genießens wieder gezielt zerstört. Mitte 20 war sie, als sie den bereits genannten Wolfgang Dauner verließ: „Ich bin Zigaretten holen gegangen und nie mehr zurückgekommen!“ Die Offenheit, mit der sie bereits 1984 über dieses Beziehungsende sang, sie frappiert auch heute noch. Aber genau diese Bereitschaft, auch auf der Bühne keine andere Anne Haigis zu  sein, die sie privat ist, die macht ihren Charme aus. Obendrein hat sie ein untrügliches Gespür dafür, wann sich etwas totgelaufen hat. Weil erst die Beendigung einer Liebesaffäre wie auch ihrer Deutschrock-Karriere dazu beitragen konnten, das jeweils Wertvolle und Bewahrenswerte zu erhalten. Bei der Zugabe, der deutschen Version von „What about me?“ (die heute völlig vergessenen „Moving Pictures“ landeten damit 1982 in ihrer australischen Heimat einen Nummer-1-Hit, in den US-Single-Charts auf Platz 19 und bei uns in der Heavy Rotation der damals noch ausschließlich öffentlich-rechtlichen Radiosender) schreit sie ihre vermeintliche Klage raus: „Wer fragt nach mir?“ Tröstlich, zu wissen, dass sich niemand anderes als Anne Haigis selbst immer wieder dieser so lebenswichtigen Aufgabe angenommen hat. Und zwar höchst erfolgreich!  (Peter Geiger)