Recht lebhafte Geister spukten am Premierenabend über die Bühne im Theater am Bismarckplatz und eröffneten die neue Spielzeit mit einem fulminanten Intro. „The Ghosts of Versailles“ überzeugten auf der ganzen Linie. Noch dazu war John Corigliano, der Komponist der Grand Opera buffa, extra aus New York angereist und konnte sich vom Weiterleben der Geisterwelt auf der Bühne am Bismarckplatz überzeugen.
Es ist schon eine vertrackte Geschichte, die sich da auffächert. Denn die aristokratische Gesellschaft, die das Spiel eröffnet, ist bereits tot, in der französischen Revolution der Guillotine zum Opfer gefallen, und langweilt sich fürchterlich in ihrem Totsein. Außer der Königin Marie Antoinette, die sich mit ihrem Schicksal nicht abfinden kann. Ihr zu Hilfe kommt der Dichter Beaumarchais, er ist in sie verliebt und will sie retten, durch einen dramaturgischen Kniff – er ist ja schließlich Dichter – die Geschichte ändern und die bewunderte Königin nach Amerika entführen. Dazu benötigt er ihren Halsschmuck, der dann munter von Tasche zu Tasche wandert und am Ende wieder zu seiner Besitzerin zurückkehrt. Eingebettet in die Komödienwelt des Figaro soll der Königin und ihm die Flucht aus der Geisterwelt gelingen. Aber da gibt es natürlich einige Gegenspieler, die genau das verhindern wollen. Eine durch und durch verzwickte Geschichte also.
Dazu entwickelt Christophe Ouvrard ein Bühnenbild für das Spiel in zwei Welten und legt für die Figaro-Szenen eine ans Barock-Theater angelehnte Kulisse über die Geisterrunde.
In diesem fabelhaften Spiel mit dem Theater im Theater entwickeln Sebastian Ritschel und Ronny Scholz (Inszenierung und Dramaturgie) ein faszinierendes Opernspektakel, das auch deshalb funktioniert, weil das Regensburger Ensemble mit überbordender Spielfreude bei der Sache ist. Iida Antola als Marie Antoinette und Seymur Karimov als Beaumarchais sind mit ihrer sängerischen und darstellerischen Präsenz das Zentrum in diesem bunten Treiben.
Benedikt Eder überzeugt als Figaro, Jonas Atwood als Louis XVI., Theodora Varga (Rosina), Carlos Moreno Pelizari (Almaviva), Svitlana Slyvia (Susanna), Kirsten Labonte, Konstantin Igl, Martin Lechleitner als Bösewicht Begearss stecken mit ausgesprochener Spiellust in ihren Rollen. Das wilde Ende des ersten Akts in der türkischen Botschaft mit Fabiana Locke als Samira und der Tanzgruppe setzt in der bisher schon überbordenden Darstellung ein weiteres Highlight, bis die aus der Decke herabschwebende Walküre den Schlussstrich zieht – Oper „kann“ nur Wagner!
Nach der Pause dominieren die leiseren Passagen, der Plan des Beaumarchais geht nicht auf und die tote Königin ist bereit, ihr Schicksal zu akzeptieren, nicht ohne vorher ihre Lebensgeschichte zu umreißen. Das sind berührende Momente, die Iida Antola eindrucksvoll interpretiert, wenn auch wenn sich einige Stellen arg in die Länge ziehen.
Dieses virtuose Spiel mit dem Theater im Theater fordert vom Philharmonischen Orchester unter der Leitung von Stefan Veselka eine dauernde Präsenz, und Musiker und Dirigent stehen mit ihrer Spielfreude an diesem Abend den Darstellern auf der Bühne in nichts nach. Beeindruckend großes Theater!
Als Fazit soll ein Zitat des Komponisten stehen, das so perfekt in unsere Zeit passt: „Die Modernisten der Jahrhundertmitte forderten in ihrer fundamentalistischsten Form, dass wir die Vergangenheit zerstören und nicht nur überdenken sollten, um eine neue Zukunft zu schaffen: eine Forderung, für die die Guillotine ein schreckliches und perfektes Symbol darstellt. Aber unsere Sicht auf die Kunst war, dass Veränderung durch die Umarmung der Vergangenheit und den Schritt in die Zukunft herbeigeführt werden kann.“ (John Corigliano)
Kritik: Anne Roßbacher Mendel für er-em-online.de
In englischer, französischer, türkischer und arabischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Weitere Aufführungen am 3.10., 18.10., 21.10., 25.10., sowie im November, Dezember und Januar