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Interview mit Klaus „schwafi“ Schwarzfischer

Ein Gespräch mit Dagmar Golle vom BR anläßlich seines neuen Albums „Leid“.

Bänkelsang mit düster-humorigen Geschichten – sowas kennt man vor allem aus Wien. Doch auch Bayern hat seine Geschichtenerzähler: Einer von ihnen ist der Regensburger Klaus Schwarzfischer – genannt „Schwafi“. Schwafi singt über kuriose Menschen und Begebenheiten aus seiner Geburtsstadt Roding in der Oberpfalz – und aus Regensburg, wo er heute lebt. Er schreibt Romane, Kinderbücher und – macht Musik.

Fangen wir bei der Musik an: Du stehst in der Tradition des bayerischen Blues.Wann kam der Blues in Dein Leben. Welche Rolle spielt die Volksmusik und welche Musik hat Dich generell beeinflusst?

Ich denke nicht, dass ich in der Tradition des Bayerischen Blues stehe. Das Album Leid bluest zwar ein wenig dahin, aber weniger aus traditioneller Prägung. Mehr aus inhaltlichen Erfordernissen. Jeder Text bekommt die Musik, die er verdient hat. Weil sich aber sowieso jeder Musikstil im Unterhaltungsbereich auf den Blues oder Folk bezieht, ist das wurscht. Vielleicht ist es ja was Genetisches. Mein Vater war eine Zeit lang Hochzeitslader. Außerdem haben meine Eltern oft viele Leute eingeladen. Wenn daheim gefeiert wurde, holte er immer, natürlich erst auf mehrmaliges Nachfragen hin, seine Knopfharmonie heraus und dann ging es rund. Wir, die Jungen, verließen fluchtartig den Raum. Der Generationenkonflikt halt. Was die Eltern machen ist altmodisch. Leider hatten die Alten meistens die größere Gaudi. Das Album „Im Holz“ hat mich als Spätberufener vorübergehend zur Volksmusik zurückgebracht. Die Gröller Brüder aus Arnbruck haben das komplette Album arrangiert und eingespielt. Mit Zither, Maultrommel, Tuba und so weiter. Die musikalische Qualität hat mich vom Hocker gehauen. Nach 2 Tagen im Proberaum war alles im Kasten. Ewiger Dank geht nach Arnbruck. Was mich am meisten geprägt hat, waren Musiker, die außergewöhnliche Geschichten erzählen konnten. Alice Cooper zum Beispiel.

Wie bist Du zur Musik gekommen?

Mein Nachbar klingelte an der Tür und meinte, dass sie für ihre Rockband einen Sänger bräuchten. Ich sagte nein, das will und kann ich nicht. Vier Wochen später standen wir gemeinsam auf der Bühne. Es war eine unkonventionelle Mischung aus Südstaaten-Rock und experimenteller Bühnenshow, die so manchen Zuhörer verschreckt hat. Die Band hieß Onk Manghani. Lauter Rodinger. Ein bisschen wie David Bowie meets Lynyrd Skynyrd.

Produziert wurde das Album in Portland, Welche künstlerischen Beziehungen hast Du in den USA?

Eine rein platonische Internetbeziehung. Ich suchte auf Freelancer-Plattformen nach guten Studios. Erst wollte ich einen bayerischen Ansprechpartner. Ich dachte es wäre gut, wenn jemand die Sprache bzw. den Dialekt versteht. Dann stieß ich auf Kevin Carava aus Portland und merkte, dass das völlig egal ist. Vielleicht dient es der technischen Sprachverständlichkeit sogar, wenn jemand nicht weiß, worum es geht. Kevin meinte: It‘s just a matter of emotion. Und er hatte recht damit. „Leid“ ist das dritte Album, das er für mich mixt und mastert.

Sowohl mit Deiner Musik als auch mit den Romanen und Krimis beschreibst Du Geschichten aus dem Kleinstadtleben. Würdest Du anhand von ein paar Liedbeispielen aus „Leid“ erzählen, welche Begebenheiten die Inspirationen dafür geliefert haben?

Wahrscheinlich eignet sich dafür das Lied „Seinerzeit“ recht gut. Jede einzelne Strophe beinhaltet konkrete Erlebnisse, beziehungsweise eine Wahrheit, an die man sich im Rückblick zu erinnern glaubt. Wie der Titel schon sagt, ist alles lang her, bezieht sich also auf die Zeit als Kind und Jugendlicher in der Oberpfalz. Nebensächliches wie, dass man ein Zweimarkstück gefunden hat, steht gleichberechtigt neben der Information, dass sich unser Musiklehrer damals erhängte. Beides ist wahr. Das eine im Erinnerungskontext scheinbar nicht wichtiger als das Andere. Oder dass wenig geredet wurde. Nicht darüber, woher der Onkel seine Kriegsverletzung hatte und nur kurz darüber, dass ein Freund gerade bei einem Motorradunfall fast sein Leben verloren hätte. Ich war damals selbst mit Motorradlern unterwegs. Wenn ich heute dran denke, kommt mir vieles vor wie in einem Film, in dem maßlos übertrieben wird. Einem hat es den Fuß, dem anderen den halben Schädel weggerissen. Das war das Leben. Dass auf dem Volksfest gerauft werden musste, war Gesetz. Es entstanden Legenden, dass es drei stadtbekannte Schläger mit einer ganzen Rockerbande aufgenommen und sie verprügelt hatten. Gewalt und Kriminalität hatten einen anderen Stellenwert, eine andere gesellschaftliche Akzeptanz. Ein brutaler Zuhälter war beliebt, weil er die Jugendarbeit des Fußballvereins unterstützte. Und wenn wir schon bei der Akzeptanz sind. Auch das ist wahr, dass der damalige Pfarrer (der im Lied zum Kaplan mutiert ist) einen Ministranten nach Hause schickte, damit er sich für ein Foto kurze Hosen anzieht.

In der Albuminfo erklärst Du die Doppeldeutigkeit des Titels „Leid“ – also „Leid“ und „Leute“. Welches „Leid der Leute“ meinst Du genau?

S Leid vo de Leid. Einerseits ist da das Leid, das von außen auf den Menschen einwirkt. Und dann das, das er in sich trägt. In vielen Fällen geht das eine in das andere über oder es vermischt sich. Im Titelsong brechen die Leute auf ihren Karriereleitern zusammen. Sie halten den Druck nicht aus, obwohl sie auf Manager-Seminaren über glühende Kohlen laufen, um sich zu stärken, um hart genug zu werden. Oder das Leid der Orientierungslosigkeit: D Leid wissen nimmer weider. Oder das der Handlungsunfähigkeit: Die Leute entschuldigen sich höflich dafür, dass sie jemandem nicht helfen, statt dass sie ihm helfen. Und dann die Sache mit den Fake-News und den Mücken. Brutal. Und das unabwendbare finale Leid aller Leid in „Wederleichtn“, dass die Leid, fia de de Glockn leit, s Leitn in der Weitn nimmer hören.

Was mir bei Musik und Texten noch auffällt: Das „Dunkelhumorige“ oder humorvoll „Morbide“, was man sowohl bei Dreiviertelblut hört als auch im modernen Bänkelsang des Wieners Voodoo Jürgens. Woher kommt diese Liebe zum düsteren Humor? 

Das wenn ich wüsste. Vielleicht hat es was mit einer prinzipiell positiven Lebenseinstellung zu tun. Dass ich das Schlimme, das Tragische, das Böse nicht als solches akzeptieren will. Ich mache das auch nicht bewusst. Dass ich mich hinsetze und zu mir sage. So. Auf geht’s, jetzt schreib mal etwas Morbidhumoriges! Vielmehr schreibe ich die Texte so, wie sie mir durch den Kopf zischen oder kriechen. Jede Tragödie hat das Potenzial für eine Komödie und umgekehrt. Ich muss zugeben, dass ich auch schon versucht habe, anders zu schreiben. Einfach mal was Lustiges. Ich kann es nicht.

Gibt es Wiener Liedermacher, die Dich inspirieren?

Ich finde den frühen Wolfgang Ambros klasse. So ein Lied wie „der Hofer wars“. Da wird eine Leiche gefunden und jeder verdächtigt den Hofer aus dem Hinterhaus, weil der nicht so leutselig ist wie die anderen. Dann stellt sich heraus, die Leiche ist der Hofer. Auch seine Bühnenstücke wie der Watzmann oder das weniger bekannte „Schaffnerlos“ über den letzten Tag im Arbeitsleben eines Trambahnschaffners gefallen mir in ihrer Vielschichtigkeit sehr. „Schaffnerlos“ hat mich übrigens auch zum Bühnenstück „Koa Kappl mehr“ angeregt. Ein dienstbeflissener Postbote verliert von einem Tag auf den anderen seinen Job und den Halt. Auch düster, böse, lustig würde ich sagen. Damit waren wir in den 90er unterwegs

Regionalkrimis sind in Bayern generell sehr beliebt – auch in Verfilmungen mit regionalem Dialekt.  Welchen Reiz haben für Dich die Geschichten „vor der Haustür“?

Vor und hinter der Haustür kennt man sich aus. Darüber kann man schreiben. Mit der Polarexpedition eines hanseatischen Kegelklubs täte ich mich schwerer. Die Typen fallen einem in seiner näheren Umgebung vor die Füße. Der korrupte Bürgermeister, der sich nach der hundertsten Verurteilung immer noch für unschuldig hält. Extremsäufer in den Erscheinungsformen Lehrer, Bauarbeiter, Chirurg, Architekt und so weiter. Der smarte Kleinstadtpromiarzt und seine Patientinnen. Keine Frage. Diese Typen gibt es überall. Interessant wird es erst, wenn sie wirklich deinen Weg kreuzen. Wenn du dir überlegst, warum dieser Mensch so geworden ist.  Und wer darunter leidet. Und warum es dem einen egal ist, wenn die anderen unter ihm leiden, und der andere hält es nicht aus. Ich glaube ich habe noch nie einen echten Krimi geschrieben. Eher so etwas wie „Sittengemälde des Lebens im erweiterten Umfeld des gewaltsamen Todes“. Der bayerische Dialekt hilft dabei, nicht an den Dingen zu verzweifeln. Er hört sich für viele in erster Linie lustig an. Huch, wie amüsant diese Mundart klingt – dann kann das alles doch gar nicht so schlimm sein.

Welche Steilvorlagen liefern Roding und Regensburg hierfür?

Steilvorlage ist ein gutes Stichwort, weil es aus der Fußballersprache kommt und ich lange und hervorragend Fußball gespielt habe. Zum Beispiel bin ich mit Schorndorf, das ist ein Dorfverein bei Roding, zweimal hintereinander abgestiegen. Weiter ging nicht. In den unteren Spielklassen geht es um offene Schienbeinbrüche, darum, welche Versicherung der Vereinsvorstand gerade günstig anbietet und um den Umgangston auf dem Feld und auf den nicht vorhandenen Tribünen. Konkret: Man kann sich ich zum Beispiel in der Versammlung von Vorstandsvorsitzenden eines DAX-Konzerns nicht vorstellen, dass ein CEO sagt: Klepplts na affe, bis er verreckt. An der Bande in der A-Klasse ist das der State of Communication. In Regensburg musste ich mir andere Gedanken machen: Warum ein Investor, dem Fußball nach eigenen Aussagen völlig Schnuppe war, Millionen in den Verein investierte und hernach den Zuschlag für ein riesiges Bauareal in Top-Lage bekam. Das sind großartige Bananenflanken, die man nur noch dankend einnicken muss.

Du hast Germanistik und Sport studiert. Welche literarische Epoche magst Du am liebsten? Was war/ist Deine persönliche Lieblingssportart?

Genau. Deutsch und Sport fürs Lehramt an Realschulen. Ich habe auch das Referendariat noch tapfer durchgestanden. Dann war Schluss. Das war nichts für mich. Deutsch hatte ich eh bloß gewählt, weil man ein Zweitfach brauchte und Deutsch kann ja eh jeder, habe ich mir gedacht und damit recht behalten. Wenn ich lese, statt zu schreiben, dann Gegenwartliteratur. Haas, Strunk und so was. Da komme ich noch mit. Kurze, einsilbige Namen von Autoren sind ein guter Indikator dafür, dass einen ein Buch nicht überfordert. Fußball und Handball habe ich sehr gerne gespielt. Eigentlich alles, was mit Bällen zu tun hat. Richtig gut war ich aber in keiner Sportart. Dieses Trauma habe ich auf der CD „randsperg“ im Lied „I kon iwahaupt nix guad“ erfolgreich aufgearbeitet. Seitdem bin ich felsenfest davon überzeugt, dass ich ein universeller Spitzensportler war und vielleicht sogar noch bin. Man müsste es halt mal ausprobieren.

Woher kommt die vielseitige künstlerische Ader – auch fürs Grafische?

Ich habe irgendwo gelesen, dass man nicht immer das machen soll was man einigermaßen kann, sondern eher andere Dinge. Das ist interessanter und man sieht den Fortschritt schneller. Erstens stimmt das und zweitens ist es schöner, wenn ich weiß, dass das Artwork meiner CD von mir ist und kein anderer die Grundidee verwässert. Auch wenn ein Werk, an dem ich beteiligt war in einer Ausstellung hängt, freut mich das. Ich habe mein halbes Leben in Werbeagenturen verbracht und hatte das Glück mit guten Leuten arbeiten zu dürfen. Da habe ich mir einiges abgeschaut.

Arbeitest Du als Lehrer?

Nein. Übergangsweise war ich mal als Sportlehrer der Stadt Cham angestellt und durfte meine Tage im Bad und auf Tennisplätzen verbringen. Auch langweilig. Manchmal sagen Leute zu mir „Du wärst aber ein guter Lehrer geworden“. Das stimmt natürlich, gilt aber nur so lange man keiner ist. Ich finde, dass mir alle Schüler aller Realschulen in Bayern dafür dankbar sein müssten, dass ich sie nicht quäle.

Wirst Du das neue Album auch auf die Bühnen bringen? In welcher Besetzung?

Das weiß ich noch nicht. Teile davon werde ich eventuell in meine nächsten Lesungen einbauen. Weiß ich aber noch nicht genau. Es kommt, wie es kommt.

Was inspiriert Dich?

Im Prinzip alles. Meine Themen ergeben sich aus eigenen Erfahrungen, Erzählungen am Wirtshaustisch, Nachrichten, Träumen, Filmen. Meistens stellt sich erst beim Schaffensprozess heraus, welche Informationen in ein Lied fließen. Während der Songschreiberei werden Gedanken immer wieder verworfen, zurückgeholt und wieder verworfen. Es kommt etwas anderes heraus als das, was ich mir anfangs vorgestellt hatte.

Warum singst Du auf Bayerisch?

Ich bin in der Oberpfalz geboren und aufgewachsen. Ich weiß nicht, ob es wirklich so ist. Aber irgendwie meine ich, dass der eigene Dialekt ideal für die Vermittlung von Gefühlen ist. Außerdem ist das Südoberpfälzische der englischen Lautung sehr nah. Es klingt runder, fließender und nicht so hart wie hochdeutsch. Ich würde sagen: musikalischer.

Wer sind Deine Vorbilder?

Wenn es um Charaktereigenschaften geht, meine Eltern. Sie waren in vielen Dingen ihrer Zeit voraus, ohne je ein Buch über Erziehung gelesen zu haben. Vom Songwriting her ist es Bob Dylan. Sein Hauptverdienst: Er brachte unaufgeregt literarischen Anspruch in die Musik. Er weiß, wie ein guter Text die Musik vor sich hertreibt. Man muss sie nicht mögen, bewundern darf man viele seiner Songs trotzdem. Dylan ist ein genialer Text-Handwerker.

Welche Musik hörst Du selbst?

Ganz verschieden. Manche Abende dudelt im Radio Jazz vor sich hin. Oder Nostalgisches aus der Jugend. Oft auch neuere Musik. Wenn ich Tipps von jungen Leuten bekomme, höre ich es mir an. Sogar wenn es mir gut gefällt, vergesse ich die Interpreten gleich wieder. So richtig intensiv Musik zu hören, mich eine Stunde konzentriert auf etwas einzulassen, kommt so gut wie nicht mehr vor.

Ist LEID ein trauriges Album?

Teilweise. Manche Songs klingen nicht unbedingt so und sind es vielleicht gerade deshalb umso mehr. Versteckte Traurigkeit gehört zum Leben. Glück und Hoffnung auch. Ich denke, dass die Texte dem aktuellen Zustand unserer durcheinandergewirbelten Gefühlswelten entsprechen.

Wie ist das Album entstanden?

Die Alben „randsperg“ und „Im Holz“ wurden mit leibhaftigen Musikern eingespielt. „Leid“ entstand wie der Vorgänger „Paula brennt“ komplett im Homestudio am Computer. Eingesungen habe ich das Ganze daheim im Schlafzimmer. Praxis-Tipp: Kissen an die Fenster quetschen und Schranktür öffen.

Du bist ja nicht ausschließlich Musiker?

Ich würde sogar sagen, dass ich kein Musiker bin. Ich kann weder Noten lesen noch beherrsche ich ein Instrument. Ich brauche jemanden, der mir das liefert, was ich zur Umsetzung meiner Texte brauche. Der Schwerpunkt liegt bei mir ganz klar auf den Buchstaben, nicht auf den Noten.

Was willst Du mit Deinen Liedern auslösen oder bewirken?

Ich hätte gern, dass sie angehört werden und sich jeder selbst ein Bild macht. Und das im wahrsten Wortsinn. Den Song so wirken lassen, als würde man bei einer Ausstellung vor einem unbekannten Gemälde stehen. Gibt es mir etwas? Berührt es mich? Ist es nur billiges Geschmiere? Wie schmeckt das Bier im Museumscafé?

Was steht als nächstes an?

Ein Buch oder ein Album.

Grundlage des Interviews ist überwiegend die ungekürzte Version des Gesprächs mit Dagmar Golle im Rahmen der BR2-Sendung „Heimatsound-Tipp“

Hier ist der spotify-Link zu „Leid“: https://open.spotify.com/intl-de/album/3ZTzTT0dGkcolxxnLxlZ5u?si=Y4mCgvMvSNCiBKgRTJ0xDA