altemaelze

Ustrine

Sonderglück

Intelligente Texte und enorme musikalische Bandbreite

Mit fast 70 Minuten Laufzeit gibt es hier ‚Value for Money‘, was natürlich nichts nutzt, wenn die enthaltene Musik nichts taugt. Beim zweiten Album „Ustrine“ des Projekts Sonderglück aus dem Jahre 2023 von Dichter und Songwriter Rainer Thielmann, von dem ich noch nie gehört hatte, trifft das zum Glück nicht zu. Die vorzüglich produzierte Scheibe lebt von den intelligenten Texten, enormer musikalischer Bandbreite und den beteiligten Musikern, die ich allerdings ebenfalls nicht kannte, die aber absolute Cracks an ihren Instrumenten sind. Wer für Schiller, Lindenberg, Nino De Angelo usw. gearbeitet hat, ist sicher kein Laie. Musikalisch bietet die Scheibe ruhige Singer/Songwriter-Musik („Zu den anderen“, „Tropfen“ nur Piano/Drums und mich an Joshua Kadison erinnernd), Deutsch poppiges wie Stefan Waggershausen („Blau“) oder Pur mit Trompetenkängen versetzt („Lass mir ein Licht an“), Angerocktes („Flieg“, „Chaosianna“, so würde vermutlich Reinhard Mey klingen wenn er nicht die leisen Töne bevorzugen würde, „Trag’s in die Welt“, was auch problemlos ein tolle Figur auf einem aktuellen Maffay Album machen würde) oder auch mal fast schon jazzig angehauchte Melange von Udo Jürgens, gepaart mit Reinhard Fendrich, im mit coolen Bläsersätzen abgerundeten „Alles kommt raus“. Besonders angetan war ich vom sehr starken und mit tollem Gitarrensolo versehenen „Die Boten des nahen Sommers“, mit über sechs Minuten auch der längste Song auf der Scheibe, und ein Song für den ein Michael Patrick Kelly sicher auch Platz auf einem Album von sich schaffen würde. Der Gesang von Rainer ist gut, jetzt nicht überragend, aber schmeichelt sich ins Ohr und passt auch vorzüglich zu den Texten. Fans deutscher, intelligenter Musik sollten hier auf alle Fälle mal ein Ohr oder auch zwei riskieren (oder vorher den offizielle YouTube Channel besuchen) und die mit starken fünfeinhalb Sternen zu bewertende CD kaufen (direkt beim Künstler, beim großen usw.), die mit einem farbigen 24 Seiten Booklet mit allen Texten versehen und sechsseitigem DigiFile als Verpackung sehr schön aufgemacht ist. Das Einzige, was ich dort vermisse, ist eine Auflistung der Musiker (gibt es zwar), wo man sieht, wer welche Instrumente spielt und auf welchem Song er/sie/es beteiligt ist. Das ist allerdings Jammern auf hohem Niveau. Ich hoffe mal, dass das dritte Album, sofern es eins geben wird, diesen Weg weiterbeschreiten und diese dann, sofern gewollt, auf einem externen Label erscheinen wird um mehr Aufmerksamkeit zu erlangen. Spontan fällt mir hier als Passendes (Musik, Texte mit Witz, Kritik usw.) Sturm & Klang von Konstantin Wecker ein, wo Sonderglück sehr gut ins Portfolio passen würden. (Sonderglück Records) HJH

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