Sage und schreibe bereits das 47. Album veröffentlichte Deutschlands mit bester Singer/Songwriter Heinz Rudolf Kunze mit „Angebot und Nachfrage“ vor einigen Tagen. Ungewohnt rockig ist es für die Anhänger der Frühwerke á la „Der schwere Mut“ oder „Reine Nervensache“ musikalisch eher nicht geeignet. Stattdessen freuen sich Anhänger der Mid80er Jahre über Klänge, die an „Wunderkinder“ oder „Dein ist mein ganzes Herz“, zu dem mit den Annett Louisan Duett-Bonus-Titelsong eine kleine Brücke rückwärts geschlagen wird. Ich finde diese Version ja echt gräßlich, was damit zusammenhängt, dass ich ihre Mickey Mouse Stimme so gar nicht mag, dafür aber endlich mal den Text verstanden hab – „nicht reiner Schmerz“ sondern „Reim auf Schmerz“. Gewohnt bissig bzw. mahnend sind die Texte ausgefallen. Sei es politisch „Sie sind Migranten“, „Die Angst geht um“ (der mit härteste Song auf der Scheibe wildert in Hard Rock Gefilden) oder das Leben und die Liebe betreffend „Ich bin tot“ (Howard Jones trifft auf Unheilig, gepaart mit Chris De Burgh zu seiner Zeit als Rupert Hine der Produzent war) bzw. „Wozu hat man Kinder“ (die einzig echte Ballade der Scheibe, die auch eher Richtung Singer/Songwriter geht in ihrer reduzierten musikalischen Ausrichtung) oder „Einen anderen Menschen lieben“ (wo es egal ist welches Geschlecht die andere Person hat). Natürlich ist auch die aktuelle Situation in der Ukraine ein Thema, auch wenn es nicht direkt angesprochen wird. Aber ein Lied wie „Jeder Tote einer Zuviel!“ spricht natürlich Bände und ist auf jeglichen bewaffneten Konflikt anwendbar und ein persönlicher Text ist auch wieder mit dabei: „Irgendwo“ schildert etwas verschlüsselt, dass er bzw. seine Eltern Vertriebene aus dem heutigen Polen als Oberschlesier waren und kann als Fortsetzung von „Vertriebener“ vom bereits oben erwähnten „Dein ist mein ganzes Herz“ angesehen werden. Musikalisch gibt es wie bereits erwähnt recht rockige Klänge, so auch beim Hammondorgel angetriebenen „Was bin ich wert“ oder „Sie sind Migranten“ mit einem knackigen Gitarrensoli. Country/Americana ist ihm auch nicht fremd, so das „Das was niemals war“ (dem einzigen Song, der mir musikalisch nicht gefällt) bzw. „Du musst dich irren“, wo Taylor Swift auf Country Rock trifft. Dass Heinz Rudolf ein Fan der Kinks ist stellt er bei „Wir sind wir“ unter Beweis und lässt auch etwas Revolverheld mit einfließen, die bei „Mehr von dir“ noch mehr durchschimmern. Aus dem Rahmen fällt „Freundlichkeit“, das so dermaßen an OMD erinnert, dass hier gleich meine „Maid of Orleans“ Erinnerungen wach werden. Somit bekommt der geneigte Hörer viele Stile für seine über 60 Minuten lange Aufmerksamkeit, die die Scheibe braucht. Fans von Konstantin Wecker oder auch Reinhard Fendrich kommen auf hre Kosten, wobei die Texte von Heinz Rudolf etwas leichtfüßiger und nicht ganz so verbissen und negativ daherkommen, wie auf dessen sehr guten neuen Album „Wimpernschlag“. Unterm Strich ein wichtiges, mutiges und tolles Album, das von mir sechseinhalb Sterne erhält. Wer will, und das nötige Kleingeld hat, kann sich die limitierte Box zulegen, das neben der CD und dem Album als LP zudem eine extra Single sowie ein 40 Seiten Buch on top hat, welches handsigniert ist. (Meadow Lake/Believe) HJH
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