Anfänglich in der Zweierbesetzung Dal Martino/Reiner Winterschladen aktiv, wurde die Kölner Band fälschlicherweise im „Lounge Jazz“ verortet, einem Etikett, das wenig später von der Bezeichnung „Nu-Jazz“ abgelöst wurde. Inzwischen ist aus dem Duo um Bassist Dal Martino und Trompeter Reiner Winterschladen ein Quintett geworden, mit dem Keyboarder Jürgen Dahmen, Schlagzeuger Thomas Alkier und Gitarrist Jörg Lehnardt, das jetzt mit „Paris, Dakar“, sechs Jahre nach der letzten Veröffentlichung, ein neues Album mit elf Tracks vorlegt. Der Longplayer spielt in seiner Vielfalt nonchalant-erfrischend an doktrinär empfundenen Genrestandesdünkel vorbei. Während der Produktionsphase, die pandemiepausenbedingt beinahe epische Ausmaße annahm, wurde allen voran von Dal Martino viel aufgenommen. Bis zu hundert Spuren Soundmaterial standen für einige der neuen oder neuinterpretierten Nummern zur Verfügung. Martino ging dann zum Sounddiäthalten schließlich in alchemistischer Weise vor, er reduzierte auf imminent Wichtiges, aber Nighthawks-typisch stehen auch auf „Paris Dakar“ Grooves vorne an. Bereits die instrumentale Eröffnungsnummer „Finally Timeless“ bricht Barrieren auf. Die vermeintlichen Gegensätze Programming und akustisches Instrumentarium verzahnen sich im Album-Opener ineinander zum unmittelbaren Triggern der Gefühlsebene. Feinjustierte Synth- und Hammond-Orchestrierung ebnet einer beinahe konträr herumparadierenden Film-Noir-Gitarre auf Hip-Hop-Beat-Basis kurzzeitig die Bühne. Gleich im Anschluss deutet die Trompete in bester nonverbaler Storyteller-Manier das ohnehin bereits wohlig angewärmte Soundgeschehen hoheitlich. Gute vier Minuten Spielzeit später sind Ohren und Herzen geöffnet, bereit für die Reise in den genuinen Nighthawks-Musikkosmos. Der heißt unbedingt willkommen und überrascht beständig aufs Neue mit erbaulicher Ambivalenz: Nighthawks-Songs gehen an der Oberfläche gut-verständlich rein und bieten gleichsam Tiefgang. An die Stelle des Verkopften setzen die Nighthawks beinahe tabulos-allumgreifende Musikalität – inklusive sublim vermitteltem Humor. Auch das weiche, umarmende Moment des Nighthawks-Sounds ist auf „Paris Dakar“ weiterhin präsent, wie „Vapor Bega“ einnehmend unterstreicht. Diesmal steht es jedoch der spürbaren Lust auf Band-Klang ergänzend gegenüber. Das Westafrika huldigende Stück „Manu Dibango“ basiert dementsprechend ganz und gar auf einer Gruppenimprovisation. Gleichwohl erzählt es außerdem die Geschichte von einer Reise nach Dakar, wo der Teilzeit-Filmmusikkomponist Martino vor etlichen Jahren eines Soundtracks wegen regionalmusikneugierig aufschlug. Dem Lyrischen zugewandt, kultiviert der Gitarrist Dominic Miller (Sting, Phil Collins) einmal mehr die über Jahre gewachsene wechselseitige Freundschaft mit den Nighthawks im mysteriös-hochfliegenden „Young“. In der Summe appelliert „Paris Dakar“ an die individuelle Vorstellungskraft. Die elf songstrukturierten Stücke dürfen selbstverständlich wie musikalische Streckenabschnittsbeschreibungen der gleichnamigen Wüstenrally empfunden werden. Die Nighthawks setzen jedoch keineswegs voraus, dieser Gedankenfährte zu folgen. Der Intuition beim Wahrnehmen der vielen ineinandergeflochtenen, feinangeordneten Klänge und Rhythmen werden bewusst keine Grenzen gesteckt. Jede und jeder darf Nighthawks-Musik selbstverständlich als qualitativ hochwertig gestaltete Einladung zum Entwickeln eigener Bilder nutzen. Das Verbindende der Nighthawks-Kompositionen bringt zusammen, was in der Kunst und im Leben elementar ist. Mitten zwischen den guten Kreativgeistern deklarieren die Nighthawks mit ihrer neuen Standortbestimmung „Paris Dakar“ gütig-verbindlich, wie neuerungsoffen-beweglich ihr Musiksystem bleibt. (Spinner Ace Records/edel) qrious
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