Auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach ihrer Gründung denken Styx nicht ans Aufhören. Lieber legen sie mit „Circling From Above“ ein neues starkes Album vor. Seit den Siebzigerjahren wird die Band um Gründungsmitglied James Young für ihren progressiven Rocksound mit poppigen Melodien von ihren Fans geliebt. Den beherrschen Styx auch auf den 13 neuen Songs wie niemand sonst. Die interessanten Texte erzählen vom menschlichen Streben nach Fortschritt und unserer Verbindung zu Technik und Natur. Dabei ist es kein Konzeptalbum, trotz anfänglicher Berichte über ein Vogelthema. Styx hält sich daran ungefähr so lange wie die Beatles an „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“. Stattdessen ist dies ein Liebesbrief an den Classic Rock, gesehen durch das Prisma von Styx. Sie haben ihre Rolle in der Rock-History gespielt, daher enthält dieses Album, ihr 18. Studiowerk, passenderweise eine Handvoll Songs, die an die Alben von Styx aus den späten 70er Jahren erinnern, die ihre Karriere begründeten. Diese stammen hauptsächlich von den Urgesteinen Tommy Shaw („Michigan”, basierend auf einer Songidee aus dem Jahr 2011, „Only You Can Decide”), Chuck Panozzo („Ease Your Mind”, mit einem Basslauf, der irgendwie sowohl luftig als auch fest ist) und James „J.Y.” Young („King of Love”, mit seiner charakteristischen Baritonstimme und einem typisch verrückten Solo). Aber auch der langjährige Keyboarder Lawrence Gowan und Neuzugang Will Evankovich trugen dazu bei, den Umfang des Albums zu erweitern.
„Circling From Above“ beginnt mit einer Ouvertüre aus dem Pink-Floyd-Repertoire, die in „Build and Destroy“, die galoppierende Lead-Single des Albums, übergeht. (Gowans Retro-Synthesizer-Sounds werden von Shaws Retro-Wah-Solo Schritt für Schritt begleitet.) „Everybody Raise Your Glass“ ist eine Zusammenarbeit zwischen Shaw, Evankovich und Gowan, die als Beatles-ähnlicher Dancehall-Pastiche begann, sich aber zu einem von Queen inspirierten Rocksong entwickelte, der eine stimmliche Bravour zeigt, die an Freddie Mercury erinnert. Evankovichs Pop-Rock-Liebesbrief „She Knows“ taucht tiefer in die wirbelnden Einflüsse der Beatles ein und gipfelt in einem verspielten Klarinetten-Solo von Jeff Coffin von der Dave Matthews Band, das in einem einzigen Take aufgenommen wurde. „The Things You Said“, geschrieben von Shaw und Evankovich, zielt direkt auf Passiv-Aggressivität ab, mit einem Refrain aus mehreren Tommy-Shaw-Stimmen, die direkt aus der Eldorado-Ära des Electric Light Orchestra stammen. „We Lost the Wheel Again“, mit Text und Musik von Evankovich, verwandelt sich in einen Who-artigen Scherz, komplett mit einem krähenden Roger Daltrey-ähnlichen Ansatz am Mikrofon und einigen wildäugigen Keith Moon-Anspielungen von Schlagzeuger Todd Sucherman. Manchmal fühlt sich „Circling From Above“ nicht wirklich wie Styx an: „It’s Clear“ ist ein solider Block aus MOR-Rock mit Gowan als Co-Autor der Strophen, Shaw im Refrain und Evankovich in der Antwortbrücke. Der Story-Song „Blue-Eyed Raven“ klingt zwar eindeutig nach Shaw, aber eher wie in seinem rootsigen Soloalbum The Great Divide aus dem Jahr 2011. „Forgive“ von Evankovich und Gowan ist so zart und wunderschön, wie man es sich bei keinem früheren Styx-Projekt vorstellen kann. Aber das funktioniert auch, solange man die Prämisse des Albums akzeptiert – nein, nicht die Sache mit den Vögeln. Circling From Above ist nicht nur ein Styx-Album, es ist eine spritzige, unwiderstehliche Erkundung ihrer Einflüsse – ein musikalisches Meisterwerk zwischen zeitloser Rock-Energie und moderner Klangästhetik. (Universal) UCR
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