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Musikalisches Soulfood vom Land

Das Soultrio „Tanquoray“ aus Amberg verwandelt bei der Präsentation des neuen Albums „Soulicana“ den T-Recs-Plattenladen in eine begehbare Musikbox

Draußen in der Malergasse, da hat es gerade heftig zu regnen begonnen. Aber hier herinnen, im T-Recs-Plattenladen, da ist es nicht nur trocken, an diesem frühen Donnerstagabend. Hier läuft auch Soul der Extraklasse. Und zwar nicht, wie man vermuten könnte, von Vinyl. Sondern live! Tanquoray, das Soultrio aus Amberg, stellt gerade seinen neuen Longplayer „Soulicana“ vor. Alle drei tragen sie orangefarbene Klamotten. Und grooven, bewegen sich im Takt, zupfen am Bass, sitzen hinterm Schlagzeug und streicheln die Tasten. Und singen dazu wie die Engel.

Warm und trocken

Eine junge Frau kommt herein, sie strahlt übers ganze Gesicht. Obwohl sie pitschnass geworden ist und noch glänzt, von dem Wolkenbruch da draußen. Aber der Soul, der sie hier empfängt, er hat die Wirkung eines Bademantels, dessen Frottee alle Tropfen aufsaugt. Und wärmt, wie ein Heizstrahler. Tanquoray spielen solche Soulklassiker, die nicht im Verdacht stehen, von jeder zweitbesten Band durchgenudelt zu werden. Sie haben beispielsweise „Groove me“ im Programm. Das ist ein Titel, der auch von Otis Redding stammen könnte. Aber 1971, als die Single erschien, da war der König der Soulmusik schon vier Jahre tot. Bei einem Flugzeugabsturz war er ums Leben gekommen, im Dezember 1967. Einer, der in die Fußstapfen dieses „schwarzen Elvis“ getreten war, war King Floyd. Der ist heute so gut wie vergessen. Aber Toby Mayerl, Keyboarder und Mastermind von Tanquoray, er ist ein Musik-Kenner der Extraklasse. Kurz vor Konzertbeginn hatte er ein Album von Ray Parker Jr.‘s Band „Raydio“ („Rock on“ heißt dieser 1979er-Klassiker) entdeckt – und Achim Schneemann, dem Chef hier (der seinerseits als Maniac rappend auf den Bühnen dieser Welt steht), signalisiert: Diese Rarität, die reservierst Du mir!

Ein Schritt, hin zum Country

Wie gesagt, das Programm ist exquisit und seinerseits komponiert wie eine grandiose Soulsymphonie. Da sind Balladen dabei, auch mal ein Gassenhauer wie Chris Isaaks dunkel schimmerndes „Wicked Game“, Stealers Wheels euphorisch wie am Schnürchen dahinschnurrendes „Stuck in the Middle with you“ (das Toby Mayerl interpretiert, als wär’s ein Stück von Elton John) oder Dobie Grays unverwüstbares „Drift away“. Letzteres war nicht nur ein so großer Hit, dass auch heute, gut 50 Jahre nach seinem Ersterscheinen, alle noch den Refrain („Oh, give me the beat boys and free my soul / I wanna get lost in your rock and roll and drift away“) mitsingen können. Der Titel steht auch stellvertretend dafür, dass da ein dunkelhäutiger Sänger stilistisch den Sidestep wagte und sich aufs Country-Terrain wagte. Ein höchst gegenwärtiger Diskurs, wenn man an Beyoncés aktuelles Album „Cowboy Carter“ denkt. Genau auf dieser Linie befinden sich auch Tanquoray: Sie haben ein Faible für Balladen, die direkt aufs Herz zielen. Sie singen mehrstimmig. Und haben eben nicht nur überraschendes Fremdmaterial im Angebot, sondern auch ziemlich gute eigene Songs (überragend: „Lost in Little Rock“, das eine Schüleraustausch-Geschichte aus den 1980er Jahren erzählt), die – liegt man abends im Bett und lässt das Programm Revue passieren – sich auflösen und zu einem Sud verkochen, in einem großen Topf, auf dem auch „Soulfood vom Land“ drauf stehen könnte.

Die Welt wird orange

Rund eine Stunde spielen sie. Drummer Michel Deiml, den Toby „Michon“ nennt, er ist eine humane Rhythmusmaschine, eine nie stillstehende Beatbox, die offenbar mit Duracellbatterien gefüttert wird. Einer, der die zwölf Takte des R’n‘B wie seine Westentasche kennt und sie stolz durchschreitet, erhobenen Haupts, in der Manier eines Tambourmeisters – und obendrein ist er ein brillanter Vokalist. Dem Sebastian Hofbauer, der mal sein Schüler war, nicht nur das Wasser reichen kann: Er ist ein toller Frontmann, ein Eye-Catcher mit seinem orangefarbenen Cowboyhut und der Brille, die ihm die Welt wie ein Glas kalte Limonade aussehen lässt. Außerdem stammt aus seiner Feder das hymnische „Don’t let me crawl“. Und das ist es, was „Soulicana“, das neue, in England abgemixte Album von Tanquoray, insgesamt zu leisten vermag: Regentropfen verwandeln sich in Freudentränen und in Schweiß. Aus Seelenschmerz wird Funk, und Trauer mutiert zu Ekstase. Genau das sind die Wunder, die der Soul in seiner Textlyrik immer wieder thematisiert, so, als wär’s apokryphe Psalmendichtung: Diesem Album entsprudeln wie einem Heilbrunnen heilsame Kräfte. Es kann dem Leben Giftzähne ziehen. Und wenn Tanquoray live auf der Bühne stehen, können sie einen regengrauen Tag ganz und gar in die Farbe „Orange“ tauchen.  (Peter Geiger)