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Kenny Garrett

Kritik zum Konzert am 4. November im Regensburger Stadttheater

Der Saxofonstar begeisterte mit seinem Quintett

Fast hätte das rhythmische Klatschen nachgelassen und das euphorisierte Publikum wäre ohne weitere Zugabe gegangen. Doch ein erneuter dynamischer Peak und der rot beleuchtete Vorhang auf der Bühne des Theaters teilte sich ein zweites Mal. Diesmal hatte Saxofonist Kenny Garrett, ein schmaler Mann mit gehäkelter Mütze und feinem Anzug, nur seinen Pianisten David Brown im Schlepptau. Die übrigen Bandmitglieder seines Quintetts Sounds From The Ancestors blieben backstage hinter dem Vorhang.

Für die verbliebenen Zuhörer, einige wenige waren schon gegangen, hat sich das Ausharren mehr als gelohnt. Nach einem enorm druckvollen und lauten Beginn endete das Konzert nunmehr gänzlich unerwartet mit einem wunderbaren Duett, einer intimen piano gespielten Ballade, die das Gemüt in Aufruhr versetzte. Damit nicht genug, setzte sich der Altsaxofonist, der jahrelang die amerikanischen Kritikerpolls als bester Instrumentalist anführte, noch an den Flügel, als sein Pianist schon gegangen war. Mit wenigen improvisierten, beinahe ungelenken Akkorden berührte er die geradezu gebannt zuhörenden Besucher im Inneren. Dabei hatte das Konzert des 62-jährigen Bandleaders, der sich internationale Meriten sowohl im Jazz- wie im Popbereich verdient hat, eher ungünstig begonnen. Nach kurzer Verspätung legte die Band mit einer Vehemenz und Lautstärke los, die dynamische Steigerungen nur noch im Nanobereich zuließ. Zudem waren der Sound nicht gut ausgesteuert, Corcoran Holts Kontrabass war zu laut, der Flügel kaum und der vor sich hinsingende und -summende Perkussionist Rudy Bird gar nicht zu hören. Dafür entfachte Schlagzeuger Ronald Bruner mit seinem ungemein präzisen und energetischen Spiel ein höllisches Drumgewitter, dem nur das nicht minder hochexplosive, bis zum Zerreißen spannende Spiel Garretts standhielt. Es schien, als wollten sich die Musiker einen latenten Frust oder Zorn von der Seele spielen. Bereits bei der zweiten Nummer, die Garrett mit einem violettfarbenen ruhigen Intro einleitete, pendelten sich Sound und Stimmung bei einem leicht gemäßigteren Tempo ein wenig ein. Dennoch nutzte Bruner den tanzbaren Rhythmus erneut, um mit wirbelnden Stöcken auf der strapazierten Snare, Toms und Becken die Spannung in schwindelnde Höhen zu treiben. Erst nach einer stimmungsvollen Ballade, von Garrett und Brown mit einem wunderbaren Zwiegespräch eingestimmt, schwenkte die Band in ruhigere Bahnen. Auch der Sound war deutlich transparenter und der wortlose Gesang Birds schmiegte sich wie ein Puffer zwischen den knackigen Drumsound und Garretts solistische Höhenflüge.
Soulige Fusion- und latinbetonte Songs enthüllten eine stilistische Breite, welche die moderne Jazzgeschichte seit den 1940er Jahren mit Entwicklung des Bebop souverän überspannt. Aber auch wenn die Band auf Formen, wie die Fourth zurückgriff, blieb sie in ihrem eigenen musikalischen Ansatz uneingeschränkt verbunden. Nach und nach kamen auch die Entertainerqualitäten Garretts immer mehr zum Vorschein, wenn er das Publikum zum Klatschen oder Mitmachen animierte. Geschickt baute er eine wechselseitige Kommunikation auf, die die Zuhörer als Akteure mit einbezog und die Stimmung zum Vibrieren brachte.
Zu welchen auch physischen Leistungen die Musiker bei voller musikalischer Inbrunst und Ausdrucksstärke fähig sind, stellte die Band gerade mit einer modernen Bopnummer unter Beweis. Angesiedelt im Hochtempobereich hätte dieser harmonisch kantige Song jedem Technofan den Angstschweiß auf die Stirn getrieben. Derart lustvoll freigespielt, verabschiedete Garrett jeden seiner Musiker einzeln, bis Schlagzeuger Bruner als letzter seine Sticks in die Luft schleuderte – und abging. Wie selten war bei den Sounds From The Ancestors deutlich geworden, dass sich Popmusik, HipHop und andere populäre Musikstile aus dem Jazz und deren afrikanischen Ursprüngen entwickelt haben.

(Michael Scheiner/Mittelbayerische)