Regensburg ist für Bernadette La Hengst kein Ort wie jeder andere: Hier nämlich hat sie, an einem Samstagabend im Novembergrau des Jahres 1999, als Frontfrau ihrer damaligen Band eine Live-Platte aufgenommen, und zwar oben am Galgenberg in der Alten Mälzerei. Dieser vierte Streich von „Die Braut haut ins Auge“, das war so etwas wie der Schlussakkord einer Karriere, die mit großen Ambitionen gestartet war und vorher schon drei grandiose Studio-Alben (allesamt sind dankenswerterweise wieder verfügbar gemacht worden, vom grandiosen Trikont-Label, weil der Plattenriese, bei dem die Band vorher unter Vertrag gestanden hatte, sämtliches Vinyl und auch die CDs eingestampft hat, um Lagerkosten zu sparen; jetzt aber sind die Platten wieder zugänglich, auf den gängigen Plattformen) herausgebracht hatte. Am Ende aber musste das Frauen-Quartett erkennen, dass ihr Konzept zwischen Indie und Kommerz, zwischen Amerika und Großbritannien, vielleicht von beidem zu wenig (oder zu viel?) bot. Die Bosse bei der Plattenfirma jedenfalls jammerten unentwegt, sie könnten „beim besten Willen keinen Hit“ entdecken. Und dem Publikum war dieser Mix aus intelligenter Textlyrik und erkennbar am Beat der Sixties geschulten Kompositionen vielleicht eine Prise zu wenig Jonathan Richman’sche Lässigkeit oder ein Gramm zu viel Radau der Marke Paul Weller und The Jam. Am Ende konnte man nur den Kopf schütteln und mit den Achseln zucken: Weiß der Teufel, woran dieser nach Emanzipation auf jeder Ebene strebende Pop am Ende gescheitert war.
Jedenfalls macht sich die Bernadette La Hengst von heute, ein Vierteljahrhundert nach dem Split von „Die Braut haut ins Auge“, ganz offenkundig keinen Kopf mehr darüber. Und hat ihren Frieden gefunden, in all den Solo- und Theaterprojekten, die sie heute beschäftigen. Sie hat sich also längst ausgesöhnt, mit dieser Vergangenheit. Hier im Ostentorkino wirkt sie, die sich Mädchenhaftigkeit und juvenilen Charme bewahrt hat, ziemlich locker und gelöst, wenn sie sich auf dem hohen Barhocker platziert und einfach zu plaudern beginnt. Und davon zu erzählen beginnt, wie sie als Gymnasiastin in Ostwestfalen mit Frank Spilker, dem späteren Kopf der maßgeblichen Hamburger Schule-Band „Die Sterne“ Theater spielte (Arthur Millerss Hexenjagd stand auf dem Spielplan) und wie sie durch Europa trampte und sich dabei als Straßenmusikerin das erspielte, was man auch im Deutschen am besten wohl mit „Credibility“ bezeichnet. Weil sie sich dabei jene Glaubwürdigkeit in Stimme und Bühnenhaltung erwarb, die auch heute noch ihre Performance als absolut wahrhaft erscheinen lässt. Dazu gehört auch, dass sie dem Publikum ihr Leben ganz und gar nicht als Riesentorlauf zum Erfolg schildert. Sondern das Scheitern als Schauspiel-Schülerin im Berlin der späten 80er ebenso einpreist wie auch jenen Move, der sie im Sommer des Jahres 1989 dazu bewog, die kurz vor der Öffnung stehende Mauerstadt zu verlassen, in Richtung Hamburg. Was sich aber – s. Hamburger Schule – getreu dem Motto, dass auch dem Schlechten stets etwas Gutes innewohnt, als Glücksfall erwies, weil sie ja dort auf ihre Band-Kolleginnen und insbesondere auf ihre bis heute beste Freundin Peta Devlin stoßen sollte.
Je länger sich Bernadette La Hengst an diesem verdammt kurzweiligen Zweistundenabend aufs bloße Hier und Jetzt (auf Tage, wie es in einem ihrer brillanten bohemistischen Bekenntnistexte heißt, die „von vorgestern bis übermorgen dauern“) einlässt und ganz offen Privates offenbart, wenn sie davon erzählt, wie sie 2004 Mutter wurde. Heute freilich weiß sie vom „Mama Blues“ deshalb ein Lied zu singen (ein ziemlich grandioses obendrein, das kluge Zeilen und tanzbare Beats vereint), weil Ella Mae mittlerweile nicht nur 21 ist, sondern flügge ist und nach Wien strebt, um dort an der „Angewandten“ (wie die Universität für Angewandte Kunst kurzerhand benannt wird) Sprechkunst zu studieren. Je länger man ihr lauscht und ihr beim Spielen zuschaut, umso mehr gerät man ins Grübeln: Warum hat diese grandiose Textdichterin, die erkennbar mit dem Groove verheiratet ist, wenn sie Gitarre spielt oder sich perkussiv über die Tasten des Fender Rhodes hermacht, nicht mehr Erfolg? Keine Ahnung, ob sie’s wollte – aber den Status eines Superstars hätte sie komplett verdient! Weil sie über über eine exzellente Soulstimme verfügt. Weil sie tanzen kann. Weil sie witzig ist, spontan und selbstironisch. Und ganz und gar nicht von sich selbst besoffen. Das Wichtigste freilich: Von der ersten Minute an hat sie die Publikumssympathien auf ihrer Seite, und scheint sie hier im rammelvollen Kinosaal auch für die nächsten 99 Jahre gepachtet zu haben.
Die 110 Texte, die beim rührigen Ventil-Verlag als „Warum ich so laut singen kann“ (288 Seiten, 15 Euro) überschriebene Kompilation erschienen sind, haben die Macht, nicht nur junge Menschen ins Reich der Poesie zu entführen. So, wie das ein J. D. Salinger über Jahrzehnte vermochte oder ein Jack Kerouac, ein Wondratschek, ein Fauser oder ein Brecht. Weil diese Gebrauchslyrik das Leben feiert. Und Rauschhaftes als krampflösende Substanz zu isolieren vermag, aus den Bitterstoffen der Melancholie. Wenn Bernadette La Hengst das alles mit Rhythmus vermengt, dann entführt sie uns ins Land des Taumels. Pop ist tot, sang sie schon vor bald 30 Jahren. Die Zeilen dieser 110 Songs aber sind unsterblich. Und warten nur darauf, auch von einer neuen Generation wachgeküsst zu werden. (Text und Fotos: Peter Geiger)