Nils Lofgren gehört seit mehr als 50 Jahren zu den zuverlässigsten ‚Sidemen‘ der Rockmusik. Anfängliche Engagements bei Neil Young und Crazy Horse führten zur Zusammenarbeit mit so unterschiedlichen Kollegen wie Lou Reed und Ringo Starr und schließlich Bruce Springsteen, mit dem er seit 1984 als Teil der ‚E Street Band‘ zusammenarbeitet. Daneben baute Lofgren seine eigene, umfangreiche Karriere auf, zunächst mit seiner Band Grin, die vor seinem Auftritt bei Crazy Horse gegründet wurde, und dann mit mehr als zwei Dutzend Soloalben. Diese Alben sind eher musikalische Liebeserklärungen als kommerzielle Ungetüme und wurden seit 2001 meist über sein eigenes Label veröffentlicht. Es dürfte schwer werden, Rockmusiker jenseits der 70 zu finden, die umtriebiger sind als Nils Lofgren. Sein letztes Soloalbum „Blue with Lou“ ist zwar auch erst vier Jahre her, trotzdem hat der Musiker aus Arizona seitdem drei weitere Alben als Mitglied von Crazy Horse mit Neil Young aufgenommen und eines als Gitarrist der E-Street-Band mit Bruce Springsteen. Und auch mit über 70 Jahren schaltet er keinen Gang zurück. Im Gegenteil: Zwischen den Alben mit Neil Young und einer Welttournee mit Bruce Springsteen hat der Gitarrist sein neues Album „Mountains“ aufgenommen. Das neueste Werk weicht nicht weit von diesen musikalischen Mustern ab: locker gewickelter Roots-Rock, der mit den Folk-, Blues- und R&B-Traditionen der 60er Jahre verbunden ist. Songwriting, Sound und Gesang klingen absolut wie aus einem Guss und beweisen erneut, was für ein Ausnahmemusiker Nils Lofgren ist. In den zehn Songs bewegt sich Nils so nahtlos zwischen bluesigen und geradlinigen Rockern und zarten Balladen, wie nur wenige es können. Alles mit seiner klanglichen Detailverliebtheit, dem unverwechselbaren Gesang und seiner ganz besonderen Gitarre veredelt. Lofgren ist ein Produkt seiner Generation, und mit 72 Jahren stellt er sich nicht mehr allzu sehr gegen diese Erwartungen. Alte Freunde wie Young und Starr, aber auch der im Januar verstorbene David Crosby und der große Jazzer Ron Carter schauen vorbei und bilden den Hintergrund für Songs über politische Umwälzungen, Liebesbeziehungen und eine weitere verstorbene Rock’n’Roll-Ikone, Charlie Watts. Lofgren verschwendet keine Zeit, um zur Sache zu kommen. Das Eröffnungsstück „Ain’t the Truth Enough“ wurde nach dem Anschlag auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 geschrieben und dreht sich über dreieinhalb Minuten um Fehlinformationszyklen und den jüngsten Angriff auf die Rechte der Frauen. „Wer hat deinen Kopf mit Lügen gefüllt?“, fragt er über einer glatten Slide-Gitarre, einer raumfüllenden Orgel und Starrs gleichmäßigem Backbeat. „Die Wahrheit ist nicht so schwer zu finden.“ Einige der Tracks des neuen Longplayer begeben sich gelegentlich auf ähnlich aktuelles Terrain („Only Ticket Out“, „We Better Find It“), aber meistens bleibt Lofgren bei Herzensangelegenheiten, sei es, dass er dem Schlagzeuger der Rolling Stones auf dem schlurfenden „Won’t Cry No More (For Charlie Watts)“ gedenkt, Springsteens 1995 auf Eis gelegtes Liebeslied „Back in Your Arms“ covert oder sich die Akustikgitarre umschnallt, um seiner Frau Amy, die auch als Co-Produzentin des Albums beteiligt war, in „Nothin’s Easy (For Amy)“ zu danken, bei dem Young übrigens als Backgroundsänger mitwirkt. Für Lofgren ist das alles Routine, aber zu seiner Ehre klingt er nie weniger als engagiert. Lofgren selbst meint zu seinem neuen Opus: „Da wir in den letzten Jahren der Pandemie mit neuen und ungewohnten Herausforderungen konfrontiert waren, habe ich ‚Mountains‘ geschrieben und aufgenommen, um diese Reise zu reflektieren. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich bei einem neuen Album stärker gefühlt habe. Rau, zärtlich, ein inspiriertes Werk für mich, dankbar.“ Recht hat er, das ist ein klanglich beeindruckendes Album – sehr persönlich und emotional. (Cattle Track Road) P.Ro
*****
******* = genial / ****** = phänomenal / ***** = optimal / **** = normal / *** = trivial / ** = banal / * = katastrophal