Seltsame Geschichten schreibt das Leben. Eines Nachts im Jahr 1992 klingelt bei der Konzertpianistin Elena Bregman in Minsk das Telefon. Es ist einer ihrer ehemaligen Studenten, ein inzwischen in Berlin lebender Cellist. „Komm nach Berlin“, lädt er sie ein, „und spiel mit mir.“ Ihre Entscheidung fällt spontan: „Ich komme.“ Ihre achtjährige Tochter Anna (um die es hier geht) an der Hand und nur die wichtigsten Dokumente und Noten im Gepäck, setzt sie sich in den Zug, der sie in ein neues Leben bringen wird. Zurück lassen die beiden ein nach außen „normal“ wirkendes Leben: Ehemann, Wohnung und Job an der Hochschule für Musik in Minsk. Ihre innere Unzufriedenheit über die gedrückte Stimmung im Land lässt sie ebenfalls hinter sich. Vor ihr und ihrer Tochter soll ein Neuanfang liegen. Über Umwege findet Tochter Anna – die nicht wie ihre Mutter Pianistin werden will – schließlich einen neuen Zugang zur Musik, genauer: zum Jazz. Zum Gesang kommt sie zunächst aus Protest: „Ich wollte alles Alte weg haben. Ich habe alles abgelehnt, was damit zu tun hat. Ich habe quasi kein Gepäck mitgebracht – weder emotional noch sonst irgendwie. Deswegen habe ich das einfach zerschossen.“ 2015 gründet Anna ihr eigenes Ensemble. Ihre Band interpretiert und improvisiert Songs unterschiedlicher Genres und Kulturen und lässt sie im Jazzstil neu erklingen. Mit der Zeit kommen eigene Songs hinzu. Die Band mit Kenneth Berkel (Piano), Hendrik Nehls (Kontrabass), Lisa Buachholz (Flügelhorn) und David Guy (Drums) unterstützt sie dabei kongenial. Zum Glück hat Anna keine Pianistenkarriere gestartet, denn angesichts ihrer wunderbar warmen Stimme – wäre uns etwas verloren gegangen. Außerdem kann das Kenneth Berkel mit seiner originellen Tastenvirtuosität ganz hervorragend. Wer auf „One endless Night“ wild-schräge Jazz-Improvisationen erwartet ist fehl am Platze, die Songs sind fast alle vers(p)onnen und verträumt, aber einfach Zurücklehnen und entspannt den Melodiebögen und Annas Texten bzw. Geschichten folgen geht hier prima. Was will man mehr? (XJAZZ!Music) HuGe
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