In der klassischen Musik, bei Mussorgsky oder Smetana etwa, da spricht man von Programmmusik, wenn die vom Orchester erzeugten Klänge dem Zweck dienen sollen, im Zuhörerkopf „Bilder einer Ausstellung“ entstehen zu lassen. Oder die Vorstellung zu generieren, einem Fluss wie der Moldau zu folgen, von der Quelle bis zu seiner Mündung. G. Copperfield, der bei Hoass und 3 Dayz Whizkey spielt und inzwischen seit 2017 als „drittes Standbein“ mit seiner Electric Band als Solist unterwegs ist, hat sich mit seinem neuen, mittlerweile zehnten Album „Out in the Desert“ ähnliches vorgenommen: Die Kaskade von elf Songs, sie beschwört die Atmosphäre eines düsteren Western herauf – und sollen so Bilder auf die innere Leinwand im Kino unter unserer Schädeldecke projizieren, die Männer auf Pferden zeigen, die sich ihrerseits auf dem Wege durch die staubige Prärie befinden. Überall lauern düstere Gefahren. Dann wird das Wasser knapp. Und dummerweise strahlt auch noch das Lagerfeuer – unverzichtbar wegen der nächtlichen Temperaturen – meilenweit aus. Lockt Schlangen, Kojoten und Skorpione an. Und Banditen.
Ein solches klassisches Szenario aus jenen Jahren, als der nordamerikanische Kontinent erobert wurde (also: „how the West was won and where it got us“, wie es bei R.E.M. heißt; wie sich also die Grenze der vermeintlichen Zivilisation weiter nach vorne schob, in Richtung Pazifikküste – und wohin das Ganze führte), er bildet den Hintergrund für T.G. Copperfields musikalische Fantasien. Gleichzeitig, man ahnt es vielleicht schon, ist dieser Name (der den berühmten, autobiographisch geprägten Bildungsroman von Charles Dickens zitiert) ein Pseudonym, und zwar für Tilo Preißer aus Falkenstein. Und der wiederum möchte, dass seine künstlerischen Fantasien parallel verstanden werden, als Metapher auf unsere krisengeschüttelte Gegenwart. T.G. Copperfield entführt uns also, in vergangene Zeiten und auf andere Kontinente. Und möchte mit diesem Kunstgriff als Zeitgenosse aus dem Bayerischen Vorwald das kommentieren, was gerade passiert, da draußen, in dieser Wüstenei namens Welt: Ukraine-Krieg, Klima-Wandel, Pandemie, Angst vorm Verlust unseres Wohlstands und jene namenlosen Gefühle der Unsicherheit und Bedrohung, die, wie er im Album-Info schreibt, „die selbsterschaffene Blase betrifft“. Und mit seinem Reigen an Songs einen ruhigen Strom schicken, in Richtung Wüste, der nicht fruchtbar, sondern auch tröstend wirkt.
Mit dem New Yorker Gitarristen Ben Forrester hat sich T.G. Copperfield nun erstmals einen musikalischen Buddie aufs Pferd geholt, mit dem er nicht nur am Songmaterial geschraubt hat, sondern der auch live auf der Bühne fest im Sattel sitzt. So, und bevor jetzt die Sonne untergeht – noch schnell der Showdown: Ja, was ist das für ein Album geworden, dieses „Out in the Desert“? Kurz gesagt: Es ist ein musikalisch hoch potentes und atmosphärisch durchwegs dichtes und überzeugendes Americana-Album geworden, ein perfektes Genre-Stück. Getragen von akustischen Gitarren, sodass – bei mir jedenfalls – Assoziationen an die Allman Brothers oder Lynyrd Skynyrd ebenso wachgerufen werden wie an Bob Segers 1980er Album „Against the Wind“. Bei den Songs haben sich schon mal „The old Man on the Moon“ (Bon Jovis „I’m a Cowboy“ leuchtet auf, hält man diesen superkontrolliert vorgetragenen Song gegen das Licht) und „Jericho“ (hier ist es Marvin Gayes „I heard it through the Grapevine“ – freilich durch die CCR-Brille betrachtet) als Favoriten etabliert, die auf dem besten Weg sind, sich einen Stammplatz in meinen Gehörgängen zu sicher. Auf die lange Strecke freilich wird sich zeigen, ob die Kompositionen die jeweiligen Versprechen, die sie formulieren, auch halten können. Jedenfalls erstaunt die Quantität des Ausstoßes an Songs – und es drängt sich der Gedanke auf, ob nicht mehr gewonnen wäre, würde T. G. Copperfield seinem Material mehr Zeit zur Reifung gewähren. Um so seinen Destillaten die Chance zu geben, mehr Schwere zu entwickeln – und weniger Süße. (Timezone Records) Peter Geiger
******
******* = genial / ****** = phänomenal / ***** = optimal / **** = normal / *** = trivial / ** = banal / * = katastrophal