In Österreich ist „Kreisky“ fast schon zum geflügelten Wort geworden: Wer auch immer sich beruft, auf diesen Kanzler der zweiten Republik – und das sind eigentlich alle – beschwört damit eine Ära des wirtschaftlichen Aufschwungs und der technologischen Modernisierung. Der stets elegant gekleidete Herr, der während der Nazijahre ins Exil nach Schweden hatte fliehen müssen, brillierte im Umgang mit den Medien seiner Zeit. Und forderte seine Landsleute mit sonorer Stimme auf, „ein Stück des Wegs gemeinsam zu gehen“. 13 Jahre waren es 1983, am Ende seiner Amtszeit, viermal war er gewählt worden, dreimal davon mit absoluter Mehrheit.
Wenn sich also heutzutage eine Band nach dieser Ikone benennt, will sie entweder selbst Kanzler werden. Oder, noch viel besser: Sie will damit etwas sagen, ein Statement abliefern, über diese mythologisch aufgeladene Phase, um die seither konsensual alles kreist, an der noch immer so blauen Donau. Live konnte man das Quartett am Dienstagabend bei uns in Regensburg im Ostentorkino erleben – und dabei zuschauen, wie sie schweres Wasser gießen, in die ihnen so sauer gewordene Konsensmilch ihrer Rodelnation. Denn sie sind alles andere als eine urfesche Buberlpartie, die sich nur drauf verstehen würde, dem Publikum irgendwelche bappigen Zuckerl aus der Manteltasche der Oma zuzuwerfen. Nein, nein, von der ersten Minute an ist hier, unter der leiwaunden Leinwand, klar: Den Herren im feinen Zwirn ist ziemlich ernst, mit ihrem brachialen Rundumschlag. Die Band um Franz Adrian Wenzl (der unter diesem Namen auch Romane veröffentlicht und als „Austrofred“ recht erfolgreich der Tätigkeit eines höchst eigenwilligen Freddie Mercury-Interpreten nachgeht), sie nährt sich aus den Resten vom Besten, was Jahrzehnte von Gegenkultur hervorgebracht haben.
Am Heimweg hab ich plötzlich „Television“ im Ohr, und so mörderische Riffs wie „Marquee Moon“ oder „See no evil“. Denn Kreisky-Gitarrist Martin Max Offenhuber, er versteht sich seinerseits auf diese Kunst, seine gleichermaßen heruntergerissenen wie präzisen Klangkonstellationen nicht allzu anheimelnd zu gestalten. Sondern sie, dunkel umrandet von Bassist Lelo Brossmann, auszustatten, mit scharfen Kanten und Widerhaken. Sodass sie sich festsetzen können, in den tiefen Verliesen und den Speichern unserer Gehirne – um dort als verstörende, alles in Frage stellende Fremdkörper ihr Dasein zu fristen. Neben mir sitzt Ulrike Dirschl von den hiesigen Noir-Experten „Diamond Dogs“ („Wir haben jetzt einen Drummer!“) – und sie ist ihrerseits ganz fasziniert von diesem Mysterien-Theater. „Ja, was für eine tolle Band!“ Und lobt dann vor allem die Präsenz des weißbeschuhten Frontmanns, der als exaltierter Entertainer die Herzen des Publikums, naja, die leere Wortpatronenhülse sei gestattet: im Flug erobert! Weil’s ganz einfach stimmt. Die 80 Minuten, während der „Kreisky“ grandios performen, sie sind so kraftvoll wie ein Gewitter, das den Schmutz unserer Gegenwart, die Krisen und die Kriege, erst so richtig aufwühlt. Nicht jede Textbotschaft ist in dieser Melange zu verstehen, bei der Synthesizer eine Brücke zu 80er Jahre-Bands wie Ultravox oder den Stranglers bauen und Drummer Klaus Mitter von erhöhter Position aus unaufgeregt den erregten Beat vorgibt. Aber es reicht schon, Textfetzen zu hören wie „Wem gehört die Welt? Den Mutigen? Den Blutigen?“. Und dann reimen sie „Roman“ auf „Thomas Mann“ und beklagen immer wieder ihr Schicksal, sie seien „Veteranen der vertanen Chancen“. Ach! Was? Erst im Februar kreiste im Tatort aus Wien der gesamte Handlungsstrang um eine hängengebliebene Kreisky-CD. Und die „Neue Zürcher Zeitung“ urteilte daraufhin, die Band, Kreisky höchstselbst also, sie seien der Höhepunkt des gesamten Unterfangens. Manchmal, da ist diese aus den Fugen geratene Welt dann halt doch noch ein bisserl gerecht. (Peter Geiger)