Philip Bradatsch ist seit 2010 unterwegs – bis 2014 als Mitglied der legendären Countrypunks The Dinosaur Truckers – seit 2015 vor allem solo und mit seiner Band, den Cola Rum Boys. Für Don Marco & die kleine Freiheit ist er als Studio- und Bühnenmusiker tätig, mit dem US-amerikanischen Bluegrass-Fiddler Gabe McCaslin tritt er im Duo auf. Dieses Jahr erschien mit dem Kinodokumentarfilm ”Kalle Kosmonaut“ Bradatschs erste Arbeit als Filmkomponist, für die er sogleich für den Musikpreis des Dokfest München nominiert wurde. Nach dem Longplayer „Die Bar zur guten Hoffnung“ von 2021 folgt jetzt ein neues Album, auf dem der Münchner seinem unbefangen-lässigen Indie-Rock in deutscher Sprache treu bleibt mit neun neuen Songs. Das neue Album startet mit „Herzen ausgebomt“, eine bittersüße Bestandsaufnahme über das Leben und die Liebe in stürmischen Zeiten. Man begleitet den Sänger allein mit seiner akustischen Gitarre, bis der Song urplötzlich, kurz vor Schluss mit Pauken und Harfen aufreißt wie ein spröder Nachmittagshimmel. „Wie sich das wohl anfühlt, wenn man sich auflöst, wie eine Tablette in sprudelndem Wasser? In der Welt einfach zergeht?“ Wenn jemand dieses Gefühl vermitteln kann, ist es Philip Bradatsch. Sein neues Album ist gleichsam Rückschau, Innenschau und die Frage, was wohl noch kommen mag. „Ich fühl mich wie ein Krankenwagen“, lautet seine Einsicht und er schenkt damit allen, die sich verlassen fühlen, einsam und abgehängt, ein Hoffnungsbild. Der tägliche Moloch, die kollektive Trauer, in der die kleinste Befürchtung zum Flächenbrand wird – Philip Bradatsch schafft das Kunststück, sie einzufangen und noch im gleichen Atemzug gleichgültig werden zu lassen. Die fetten Fische sterben am schnellsten, am Morgen schon verlieren sich ihre Worte im Nebel der Bedeutungslosigkeit, der Spott weht über die Lautsprecher rüber und lässt einen bitter schmunzeln. Was ist noch dringlich in dieser Welt? Nichts als die Sehnsucht nach der Geliebten, die es von der A-Seite über jede Hürde bis zum Ende der B-Seite schafft. Sie noch zu sehen in dieser Nacht, neben ihr einzuschlafen, dafür würde er alles geben. „Verlass dich nicht auf mich“, singt er, was für eine Lüge, denn auf einen wie ihn ist Verlass, er trifft die Stimmung mit jedem Ton, ist zerbrechlich und zäh, am Ende, am Anfang, keiner weiß, wie er sich wirklich fühlt. „Jeder Herzschlag nummeriert“, das klingt angezählt, und genau das macht seine Musik unmittelbar und wahrhaftig. Und während die Nadel die Rillen seiner Platte nachfährt (es gibt keine CD-Version), denkt man an alles und nichts. Eine Katharsis aus dem Kopfhörer, eine dunkle Offenbarung mit einem Loch im schwarzen Himmel, durch das die Sonne blendet. (Trikont/Indigo) P.Ro
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