Die Story dieses Musicals beruht auf einem wahren Ereignis. Im Jahr 1913 wird in Atlanta ein aus New York stammender jüdischer Fabrikbesitzer, Leo Frank, angeklagt, eine seiner Arbeiterinnen, die 14jährige Mary Phagan, ermordet zu haben. Falschaussagen, von Staatsanwalt und Presse gegen Leo Frank inszeniert, führen zu wütenden Protesten gegen den Yankee und letztendlich zum Todesurteil. Seine Frau ist von seiner Unschuld überzeugt und kämpft um die Wiederaufnahme des Verfahrens, kann den Gouverneur von der Manipulation der Zeugenaussagen überzeugen. Dieser hebt das Todesurteil auf und begnadigt Leo Frank zu lebenslanger Haft. Aber die aufgeheizte Stimmung gegen „den Juden“ will das nicht akzeptieren, der Mob will Rache, die Rädelsführer lynchen Leo Frank. Im letzten Bild wird das späte Geständnis des wahren Mörders eingeblendet – der Hausmeister der Fabrik gesteht nach Jahrzehnten die Tat. Leo Frank wird daraufhin posthum begnadigt, aber nicht für unschuldig erklärt.
Die Inszenierung von Simon Eichenberger und die Dramaturgie von Ronny Scholz vertrauen auf die starke Wirkung der Geschichte und kommen ohne sichtbare Aktualisierung aus. Der historische Fall bringt genügend Spannung und verweist auch ohne Modernisierung auf die Kernproblematik des latenten und auch offenen Antisemitismus – der Mörder ist in diesem Fall nicht „der Schwarze“, sondern der jüdische Yankee aus Brooklyn. Leo Frank wird von Alejandro Nicolas Firlei Fernandez als seriöser, akkurater, zurückhaltender Fabrikherr gezeichnet, und überrascht in der Szene, als er slapstick-artig all die Vorwürfe der falschen Zeugen darstellt. In der Rolle der Ehefrau Lucille Frank glänzt die wunderbare, bezaubernde Fabiana Locke sowohl gesanglich als auch darstellerisch. Neben all den weiteren Darstellern, die eigentlich alle eine namentliche Erwähnung verdienten, soll noch William Baugh in der Rolle als Jim Conley genannt werden – der Chor der Gefangenengang ist ein regelrechtes Blues-Highlight der Vorstellung. Und ebenso seien die jungen Sängerinnen des Cantemus.Chores erwähnt, die in der Premiere ihren Auftritt hatten: Sarah Scherwitz, Julia Bothschafter, Mieke Bahnmüller und Jule Haber sangen und spielten ihren Part ausgezeichnet. Dass auch der Opernbariton Seymur Karimov „Musical kann“, zeigt die Vielseitigkeit des Regensburger Ensembles.
Die Komposition von Jason Robert Brown ist ein außergewöhnlich stimmiger Mix aus den Klängen der amerikanischen Südstaaten: Blues, Gospel, Dixie, Jazz, Folk und Pop-Rock vermischen sich zu einem Sound, den das Philharmonische Orchester unter der Leitung von Alistair Lilley mitreißend umsetzt. Ein Kritikpunkt an der ansonsten außergewöhnlichen Vorstellung sei hier angebracht, die Lautstärke vor allem der Bläser übertönt bisweilen den Gesang, zumindest für die Zuschauer im Parkett.
Für diese Musical-Inszenierung wurden im Theater am Bismarckplatz alle dramaturgischen und bühnentechnischen Register gezogen. Das Bühnenbild (Sam Madwar) zeigt sich als äußerst wandelbar und gestaltet dank Dreh- und Hebetechnik sowohl Raum für die Massenszenen (überzeugend auch dieses Mal wieder der Regensburger Opernchor) als auch für intime Zweisamkeit, unterstützt durch die hervorragende Lichtregie von Martin Stevens und Simon Eichenberger. Schnelle Szenenwechsel, ähnlich Filmschnitten, passende Kostüme, einfrierende Szenen gestalten eine spannende Aufführung und machen neben all den bereits angesprochenen Highlights die zweieinhalb Stunden der Vorstellung zu einem fesselnden Abend.
Dass das Thema des Musicals hochaktuell ist, zeigte sich auch bei der Premiere in Regensburg. Polizei stand vor dem Theater, um eventuelle Störungen zu verhindern. In der Süddeutschen Zeitung wurde die New York Times zitiert, die von antisemitischen Demonstrationen gegen das Musical am Broadway berichtete. Offenbar hatte dies auch ein Anrufer in Regensburg im Sinn. Die Rehabilitierung des Leo Frank scheint sich in bestimmten Kreisen noch nicht herumgesprochen zu haben.(arm)
Weitere Vorstellungen am 21.4., 6., 17., 21., 27. Mai, im Juni und Juli
Fotokredit: Theater Regensburg