altemaelze

Crime Scene

RPWL

Das ist ein echtes Genießer-Album für Musikenthusiasten – oder eben Kunstliebhaber.

Sie gelten als die deutsche Art-Rock Institutition – RPWL aus Freising, und der Vierer meldet sich jetzt mit einem weiteren epischen Konzeptalbum zurück. Auf „Crime Scene“ geht es um das Morbide, das Perverse, das Böse im Guten, die Abgründe des menschlichen Verhaltensspektrums in all seiner unvorhersehbaren Vielfalt. „Auf ‚Crime Scene‘ spielen RPWL alle ihre Stärken aus. Tatorte gesichert. Fälle geklärt. Mission erfüllt. … Wuchtige, cineastisch anmutende Arrangements, wunderschöne Melodiebögen, bewegende, leise, behutsame Momente und ein ausgesprochen spannendes Konzept hinterlassen einen starken Eindruck.“ ist in einer Kritik zu lesen und das trifft’s auf den Punkt!

Wenn sich eine Band wie RPWL eines Themas für ein Album annimmt, dann ist in der Regel davon auszugehen, dass dieses eklektische Quartett tief, sehr tief, in das gewählte Spektrum eintaucht und es aus allen möglichen Perspektiven ausleuchtet. Dann wird – wie auch schon bei vorangangenen Konzeptalben wie zum Beispiel „Tales from Outer Space“ (2019) – ein größtmöglicher Teppich ausgerollt und die Kompositionen gehen mit den sorgsam geschriebenen, wie musikalisch gesetzten Lyrics Yogi Langs Hand in Hand, um dann final aus einem Guss präsentiert, arrangiert und performt zu werden. Auf ihrem neuen Longplayer lenkt die bayuwarische Artrock-Institution ihre Aufmerksamkeit auf das Morbide, das Perverse, das Böse im Guten, die Abgründe des menschlichen Verhaltensspektrums in all seiner unvorhersehbaren Vielfalt, die dann manchmal auch so bizarr verstörend schlüssig daher kommt, wenn man denn ansetzt sie ergründen zu wollen. Wo endet Liebe, wo beginnt Manie? Lässt sich eine Grenze zwischen krankhaftem Wahn und minutiöser, krimineller Akribie festmachen? Thematisch tauchen in „Crime Scene“ Motive und Sujets wie Karl Denke, jener Kannibale von Münsterberg, oder der hoffnungslos liebende Heim-Präservator aus Florida, Carl Tanzler, auf. Die irren Lebensgeschichten allein dieser beiden Menschen hier aufzurollen, das würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Sollte man jedoch denken, dies sei allzu far out, dann greifen sofort zwei Gegenargumente: erstens haben RPWL noch nie Grenzen gekannt, zumindest keine, die sich selber setzen und zweitens sind diese Fälle wirklich geschehen. Fälle, die den Begriff der Kriminalität ebenso dehnen, wie RPWL den der Rockband, seit ihrem Debüt „God has failed“ (2000). Aber dies tun sie bereits seit ihrer Bandgründung 1997 in Freising, also sollte die Überraschung alles in allem eigentlich keine sein, während dieses Album natürlich an jeder Ecke mit Überraschungen aufwartet.

In sechs dicht-atmosphärischen Tracks haben sich die Vier – Kalle Wallner/Gitarre, Yogi Lang/Vocals, Keys, Marc Turiaux/Drums und Markus Grützner/ Bass – wieder einmal auf intensive Reisen durch die eigene Bandvita, als auch die jeweils eigenen Plattensammlungen begeben. Das Bemühen von Vergleichen ist immer so eine Sache, denn immerhin ist dies bereits die 19. Veröffentlichung dieser international erfolgreichen Band. Gefühlt gerade eben legte Lead-Gitarrist Wallner sein viel gelobtes Solo-Album „Voices“ vor und man spürt es förmlich in der Eloquenz der Soli, die sich hier allerdings eindeutig der jeweiligen Komposition dienlich zeigen.

Die teils morbid-düsteren Themen werden mit old-school Fuzz konterkariert, das knapp 13-minütige „King of the World“ mit seinem knurrenden Big Muff und seinen flächigen Vibes, oder „Life beyond Control“, das mit seinem Offbeat-Einsatz sicher zu den härtesten Stücken in der Band-Diskographie gehören dürfte, legen ihr Geständnis auf der „Crime Scene“ ab. Die ehemaligen Floyd-Eleven wissen um die ewigen Vergleiche, hier aber spätestens geht es um die dark side of the soul, da kann man Schweine ruhig auch mal fliegen lassen und manch einen Verbrecher wünscht man sich besser nicht here zu sein. „Live in a Cage“ bringt das das Kalkül des wie immer akribischen Sounddesigns dieses neuen RPWL-Albums auf den Punkt, nahtlos schließt sich „Red Rose“ daran an. Pflaster auf Schusswunde als Prinzip. Aber der Wahn der normalisierten Gewalt wabert in so vielen Haushalten unter der vermeintlichen Harmonie, die die vier Musiker hier den Hörer glauben lassen. Wie fühlt es sich an, überhaupt kein Konzept von Freiheit zu haben, die Angst die bürgerliche Sicherheit zu verlassen aber größer ist? Allein im Lockdown-Jahr Jahr 2020 erfasste die Polizei über 119.000 Fälle von partnerschaftlicher Gewalt, 139 davon mit tödlichem Ausgang, die sich in über 80% der Fälle gegen den weiblichen Part in der Beziehung richteten. Yogi Lang kommentiert aus künstlerischer Perspektive er sei schon immer von gesellschaftlichen und persönlichen Schattenseiten fasziniert gewesen. Und Kalle Wallner stellt die Gretchenfrage, wie man es denn mit dem Bösen an sich halte: „Wer macht uns zu dem wer wir sind? Ist es eine Frage der Genetik oder sind es doch die sozialen Umstände, unsere Kindheit, Schicksalsschläge, Druck oder Kränkungen?“ Das ist ein echtes Genießer-Album für Musikenthusiasten – oder eben Kunstliebhaber. (Gentle Art of Music/Soulfood) P.Ro

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